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Die Welt vom 7.1.2000, S. 32
"Blaue Delikatessen von Wachs umhüllt. Der Berliner Semjon mit Projektkunst in New York"
von Charles Gerhard Rump


Man stelle sich vor: Ein ganzer New Yorker Delikatessen-Laden, blau gestrichen, glasglänzend und chromblitzend, die Regale und Schränke vollgestellt mit Original-Produkten, alle fein säuberlich mit Wachs überzogen. Das ist kein Sciencefiction-Szenario, sondern ein Kunst-Traum, der zur Zeit dabei ist, Wirklichkeit zu werden. Ausgedacht hat sich das Mammut-Projekt der Berliner/New Yorker Künstler Semjon H. N. Semjon, ein Baselitz-Schüler, der seinen Meister an Großartigkeit übertroffen hat – also ein guter Schüler, wie es die chinesische Weisheit sagt.
In der Tat gehört Semjon zu den eigenständigsten jungen Künstlern unserer Zeit. Seine Methode, Dinge des Alltags mit Wachs zu überziehen und unter Plexiglas zu konservieren, bietet dem Betrachter sowohl sinnliches Erleben wie Reflexionsmöglichkeiten auf mehreren Ebenen. Durch die Wachskonservierung bleibt das Ding erhalten, sieht sich aber seines Nutzwertes entkleidet. Neu umhüllt wird es durch seinen Kunstwert, und der kommt, frisch gehalten unter Plexi, gleich schon in musealer Konservierung daher.
"DeliGrocery 2000" nennt sich Semjons Projekt, für das auch weiterhin noch Sponsoren gesucht werden, denn das Projekt verschlingt viel Geld. "Supporter" kann man schon für 300 Dollar werden, "Contributor" darf man sich für 2500 Dollar nennen, dem "Benefactor" soll sein Engagement für die Kunst 5000, dem "Patron" 25000 Dollar wert sein. Selbstredend, daß man dafür auch jede Menge Kunst bekommt, und sogar Erlebnistrips. Charles Gerhard Rump sprach mit Semjon H. N. Semjon über das Projekt.

Die Welt: Wie lange arbeiten Sie schon am DeliGrocery Projekt?
Semjon H. N. Semjon: Seit acht Jahren, als ich in New York die ersten "Produktskulpturen" gemacht habe. Die mit Wachs überzogenen Produkte bedeuteten für mich eine Erarbeitung von Realität – ich war kein Konsumkind.

Die Welt: Wie weit ist das Projekt gediehen?
Semjon: Seit dem vergangenen Frühjahr sind wir mit dem Berliner Projektteam auf Sponsorensuche und machen Öffentlichkeitsarbeit. Leider scheint mir Deutschland eine Sponsorenwüste zu sein: Es herrscht beflissenes Desinteresse. Obwohl von hier aus arbeitend, waren wir in den USA schon erfolgreicher. Das New Yorker Team gibt es seit Mitte September. Eine feste Zusage gibt es schon durch den in den USA sehr bekannten Modekonzern "Bottega Veneta", der seinen Stammsitz in Mailand hat.

Die Welt: Wie geht es los?
Semjon: Das Erste ist der Laden selbst – in Blau gefaßt mit Kühlschränken und einigen Produktskulpturen. Typisches Deli-Mobiliar. Zum Schluß sollen es mehr als 1000 Produktskulpturen sein. Wenn schon etwas da ist, findet man leichter Förderer.

Die Welt: Was bedeutet das Projekt für Sie?
Semjon: Es ist mein Hauptwerk in der Reihe der Produktskulpturen. Und für mich auch deshalb der Höhepunkt, weil alles in New York stattfindet, wo ich die ersten Produktskulpturen gemacht habe. Die Deli-Sache fasziniert mich auch durch ihre Chrom-Glas-Ästhetik, die eine innere Ähnlichkeit mit meinen Arbeiten hat.